Liebe Freundinnen und Freunde der Alexander-Technik,

dies ist der zweite Newsletter, in dem ich durch eigene Gedanken, Zitate sowie Buch- und Filmempfehlungen zum Arbeiten mit der Alexander-Technik anregen und auf mein Kursangebot hinweisen möchte. Er fällt in die dunkle Jahreszeit – in die Zeit „zwischen den Jahren“, da brauchte ich nach einem Thema nicht lange zu suchen.
Viel Freude beim Lesen und einen guten Rutsch.

Helmut Rennschuh

„Innehalten“

ist ein weit verbreiteter Wunsch in der Advents-, Weihnachts- und Neujahrszeit. Doch es scheint wie verhext…

Innehalten ist zunächst einmal ein Wort. Für mich hat es viele Bedeutungen – es ist vielschichtig. Beispielsweise lässt sich auch eine innere Haltung, bei der man nicht auf jede Frage sofort eine Antwort parat hat, sondern gelassen abwartet, was geschieht, als Innehalten verstehen.

Zerlegen wir das Wort in seine Teile „inne(n)“ und „halten“, so zeigt sich seine wichtigste Bedeutung: Es geht darum, sich nicht im Außen zu verlieren, sondern bei sich zu bleiben: die Aufmerksamkeit „innen“ zu „halten“.

Natürlich bedeutet das nicht, sich von der Außenwelt abzuwenden. Vielmehr gilt es die Außenwelt mit einer weit gespannten Aufmerksamkeit, die innen und außen verbindet, wahrzunehmen. Das lässt sich üben. Wie alles, was wir üben, werden wir mit der Zeit besser darin.

Aus der Alexander-Technik kennen wir konkrete Mittel, die uns helfen, dieser Aufgabe nach und nach gewachsen zu sein:

1. Die Direktiven für Hals, Kopf und Rücken verbinden ein Handeln im Außen mit einer Aufmerksamkeit für uns – für unser Innen.

2. Das, was ich „offenes Schauen“ nenne, das Wahrnehmen der ganzen Weite und Tiefe unseres Sehfeldes von der Sehrinde – vom Hinterkopf – aus, verbindet das Wahrnehmen der Außenwelt mit dem Präsentsein in unserem Hinterkopf und Hals.

Doch so machtvoll diese Mittel auch sein mögen, unser Alltag erweist sich oft als stärker – gerade auch zur Weihnachtszeit, in der wir als erschöpfte und ruhebedürftige Menschen den mächtigen Reizen, die auf uns wirken, oft ungeschützt ausgesetzt sind.

Was hilft? Vielleicht einzig und allein dies: sich im Kalender neben allem anderen auch Zeiten einzutragen, in denen wir uns mit uns selbst verabreden.

Ich habe beispielsweise mit mir die Verabredung getroffen, die Zeit meiner Spaziergänge und Wanderungen auszuweiten. Das ist für mich „Übungszeit“, in der ich mit dem offenen Schauen und den Direktiven experimentiere und Neues ausprobiere. Natürlich ist dies kein trockenes Üben, denn das Erleben der Natur verliert bei diesem „Üben“ nichts von seiner Intensität – im Gegenteil: Wenn wir die Natur in der beschriebenen Weise betrachten, dann erschließt sich erst ihre ganze Schönheit.

Die Natur macht es uns vor: sie ruht. Auch hierin ist sie uns überlegen. Das Richtige passiert in ihr einfach von selbst. Wir hingegen müssen uns verabreden, mit uns und der Ruhe, damit beide sich vereinen und zum stillen Zentrum unseres Daseins werden. Verpassen wir diese wichtigste Verabredung unseres Lebens nicht.

Zitate:

Alexander stellt in einem Vortrag eine Verbindung zwischen seinem „non-doing“ und dem chinesische „wu-wei“ her. Er lässt seinen Freund und Schüler John Dewey sprechen.
When Professor John Dewey read the manuscript of my last book, he came to me one morning and said, “I am delighted that you have come upon this principle of non-doing. I find that that was the philosophy of the Chinese philosophers 3.000 years before Christ… Here in America we have the ´doing´ habit with no counterpart, and that is why we are having the troubles we are having today.”
F.M. Alexander: Vortrag, 1925, in Articles and Lectures, S. 147

Von Alan Watts eine kurze Erläuterung der Begriffe „wu-wei“ und „li“:
Im Kontext der taoistischen Schriften bedeutet wei „zwingen, sich einmischen, künsteln“ – in anderen Worten, gegen den Strich von li zu handeln. … Li ist die asymmetrische, nicht wiederholte, nicht reglementierte Ordnung, die wir im fließenden Wasser finden, in den Formen von Bäumen und Wolken, Eiskristallen am Fenster oder in den verstreuten Kieseln am Sandstrand… Wu-wei als „nicht-zwingen“ bedeutet also mit dem Strich gehen, mit dem Stoß rollen, mit der Strömung schwimmen, die Segel nach dem Wind richten, die Gezeiten mit der Flut nützen, „sich erniedrigen, um zu erobern“. … man versucht nur dann etwas zu erzwingen, wenn man nicht verstanden hat, dass es nicht geht – dass man vom Wasserlauf der Natur nicht abweichen kann.
Alan Watts: Der Lauf des Wassers S. 70, 80, 116

Von Rilke über offene Fragen:
Sie sind so jung, so vor allem Anfang, und ich möchte Sie, so gut ich es kann, bitten, lieber Herr, Geduld zu haben gegen alles Ungelöste in Ihrem Herzen und zu versuchen, die Fragen selbst liebzuhaben wie verschlossene Stuben und wie Bücher, die in einer sehr fremden Sprache geschrieben sind. Forschen Sie jetzt nicht nach den Antworten, die Ihnen nicht gegeben werden können, weil Sie sie nicht leben könnten. Und es handelt sich darum, alles zu leben. Leben Sie jetzt die Fragen. Vielleicht leben Sie dann allmählich, ohne es zu merken, eines fernen Tages in die Antwort hinein.
Rainer Maria Rilke: Briefe an einen jungen Dichter

Directions:

„Ich spanne meine Aufmerksamkeit weit auf. So wie ich an das untere und das obere Ende der Wirbelsäule gleichzeitig denke – und damit die Wirbelsäule als ganzes gedacht habe – kann ich innen und Außen gleichzeitig wahrnehmen:
Ich denke an meinen Hals, während ich dies lese.
Ich bin mir meiner Position im Raum bewusst, während ich dies lese.
Ich bin mir der Weite des Raumes, der mich umgibt, bewusst, während ich dies lese.
Ich bin mir der Tiefe des Sehwegs im Gehirn bewusst, während ich dies lese.
Ich nehme die ganze Länge der Wirbelsäule wahr (unteres Ende: Steißbein in der Nähe der Sitzhöcker, oberes Ende: Kopfgelenk zwischen den Ohrläppchen), während ich dies lese.“

Zum Weiterlesen:

Alan Watts: Der Lauf des Wassers
Das letzte Buch von Alan Watts. Eine Einführung in die Lehre vom Tao. Unvollendet, aber sehr kraftvoll und eindrücklich.

Ein Artikel von mir: Über das Gehen
Hier sind meine Erfahrungen mit dem Gehen kurz zusammenfasst. Nachzulesen unter: www.alexandertechnik-rennschuh.de/artikel.html

Ein Buch von mir: Innehalten
Innehalten wird hier von vielen Seiten beleuchtet und sehr grundlegend und umfassend betrachtet. Als offenes (Hinter-)fragen ist es Voraussetzung dafür, neue Erkenntnisse zu gewinnen.

Steven Shaw: The Art of Swimming (nur auf Englisch erhältlich, am besten Neuauflage 2016)
Schwimmen und die Alexander-Technik: Eine Einführung in die „Shaw-Methode“ findet sich bei „bewegte Bilder“.

Bewegte Bilder:

Steven Shaw: Einführung https://www.youtube.com/watch?v=Ks9CWnBGSuM
Steven Shaw: Brustschwimmen https://www.youtube.com/watch?v=vBnXYVK2dTQ
Steven Shaw: Kraulen https://www.youtube.com/watch?v=WTAF3OFhzdA

Kurse für das kommende Jahr

23. – 25. Juni 2017: Alexander-Technik und Meditation
30. Juni – 02. Juli 2017: Back to Basics
20. – 22. Oktober 2017: Gehen und Sehen
01. – 03. Dezember 2017: Innehalten

Impressum: Helmut Rennschuh, Am Horn 25, 99425 Weimar
Tel.: (0 36 43) 77 72 82, E-Mail: hr@alexandertechnik-rennschuh.de,
Internet: www.alexandertechnik-rennschuh.de

Newsletter abmelden | Kontakt